Kapitel 2: Der Kalahari-Zauber
- Aufblendung -
Bald darauf ist sie durch ein dickes Kamelhaarseil an einen großen Pfahl, den der Exu-Kult nur für diesen Moment aufgestellt hat, gebunden.
PRIESTER:
(ohrfeigt Gabrielle,
stellt sich so nah an ihr Gesicht, dass sie seinen heißen Lufthauch bei jedem
seiner Worte spüren kann)
Du hast wohl geglaubt, dass du uns stoppen kannst?! Verstehst du denn nicht,
dass du nicht nur mit unserem Schicksal, sondern auch deinem eigenen und das
aller Menschen spielst? Willst du wirklich dafür verantwortlich sein, dass die
Ajogun die Sonne für immer verschlucken?
GABRIELLE:
(kalt)
Das einzige, was die Ajogun verschlucken, ist euer Verstand. Was seid ihr für
Menschen, wenn ihr Unschuldige tötet?
PRIESTER:
Du hast also Angst um dein Leben? Wir werden dich nicht töten, unsere Religion
verbietet das Töten ohne triftigen Grund.
GABRIELLE:
Ich? Ich? Es geht hier wohl kaum um mich, es geht nicht um mein Leben. Ihr tötet
unschuldige Kinder. Nur wegen eures Wahnes.
PRIESTER:
Überleg dir gut was du sagst. Du bezeichnest die Retter der Welt als Wahnsinnige.
Natürlich, dein primitives Wissen erlaubt dir nicht, hinter die Vorurteile zu schauen,
aber du wirst es schon sehr bald wissen. Der Tod dieser Kinder ist etwas Heiliges. Er
schützt die ganze Menschheit, er ist für alle Kreaturen auf Erden wichtig. Wieso
willst du das nicht begreifen?!
GABRIELLE:
Ich muss Abscheulichkeiten nicht begreifen, ich muss sie nur aus der Welt schaffen.
Xena wird schon bald kommen, ihr solltet euch lieber vorsehen, sie ist eine große...
Der Priester packt Gabriele an den Haaren und schaut ihr in die Augen.
PRIESTER:
Was sagst du? Xena ist hier?
GABRIELLE:
Du kennst sie?
PRIESTER:
Sie kennen? Sie hätte beinahe unseren ganzen Kult zerschlagen. Sie hatte die Macht
dazu. Ihre Kraft war übermenschlich und ihr Wille zu töten war höher als der einer
blutrünstigen Hyäne. Und sie hätte beinahe unsere Väter vernichtet... Wenn sie nicht
zu wertvoll für sie gewesen wären. Oder vielmehr das, was sie wussten. Mit ihrer Armee
hätte sie alles in Schutt und Asche schlagen können, die Stärke des damaligen Priesters
hätte nicht ausgereicht, um sie zu stoppen. Aber irgendwas hielt sie davon ab. Es sind
die Ajogun, die mächtigen Götter. Wir dachten, sie hätten Xena vernichtet... Wie ist
das nur möglich?
GABRIELLE:
Sie hätte euch vernichtet, wenn sich ihre Armee nicht geweigert hätte. Vermutlich hätte
sie euch auch alleine mit ihren eigenen Händen, jeden einzelnen eurer Vorfahren,
erwürgen können. Es wäre besser gewesen, als euch Mörder wüten zu lassen... Aber
sie kann es ja noch nachholen...
PRIESTER:
Xena kann gar nichts tun. Wir dachten zwar, du wärst diese Befreierin, aber auch wenn du
es nicht bist, wird sie sich in Acht nehmen, etwas gegen uns zu unternehmen...
- Schnitt -
WÄHRENDDESSEN
XENA:
(grinsend)
Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Gabrielle Recht hatte... Sie wird uns
das bestimmt unter die Nase reiben. Ich kann sie richtig sagen hören 'Ich hab's
euch ja gesagt...'
ZOLIARA:
Ja. Ich hoffe nur, sie ist vorsichtig.
XENA:
Sie ist zwar manchmal dickköpfig, aber sie weiß, wann sie lieber auf mich warten sollte.
ZOLIARA:
Ihr kennt euch wohl schon lange?
XENA:
So lange schon, dass ein Leben ohne sie für mich nicht möglich wäre.
Xena hält an und lässt ihren Blick gründlich über den Boden wandern.
ZOLIARA:
Was ist?
XENA:
Irgendwas stimmt hier nicht.
ZOLIARA:
Wieso? Was ist denn?
XENA:
Siehst du hier diese kurzen Fußspuren?
ZOLIARA:
Ja, die sah ich schon auf dem ganzen Weg hierher. Das sind doch die von Gabrielle.
XENA:
Ja, aber hier, weiter vorne. Es sieht so aus, als ob... Sie ist auf jemanden gestoßen.
Etwa zwanzig Männer.
ZOLIARA:
Du meinst doch nicht...
XENA:
Doch genau das mein ich. Ich muss sofort zu ihr.
ZOLIARA:
Xena, nein! Geh nicht. Es ist viel zu riskant. Die würden sofort beim kleinsten
Verdacht Gabrielle und die Kinder töten. Wenn du ihr nicht folgst, wird sie leben,
ich kenne ihre Regeln.
XENA:
Aber ich muss ihr doch helfen. Die haben sie. ... Gabrielle...
Zoliara legt ihre Hand auf Xenas Schulter.
ZOLIARA:
Du wirst sie schon sehr bald wieder haben, glaub mir.
XENA:
(verzweifelt)
Verdammt! Wir hätten uns nie trennen sollen! Das war es, was die vorhatten! Und
ich hab das nicht gesehen! Ich hätte es wissen müssen, es ist der älteste Trick der Welt!
(in Gedanken)
*Wenn dir etwas passiert, dann bin ich schuld! Ich ganz allein! Und ich werde es mir
nie verzeihen können! Wer weiß, was die mit dir anstellen!*
Ein ohrenbetäubender Schrei schneidet die nächtliche Stille, nicht weit von den zwei Frauen.
XENA:
Was war das?
ZOLIARA:
Ich hab dir doch gesagt, du wirst sie schon sehr bald wieder haben.
Sie laufen in die Richtung, aus der der Schrei gekommen ist. Xena hätte nicht fragen müssen, sie weiß, wessen Stimme das war. Sie weiß es, ihr Herz hat sich sofort zusammengezogen.
Auf einer Waldlichtung sieht man schon von Weitem im hohen Gras die Umrisse eines Körpers, der sich nicht bewegt.
Xena rennt so schnell wie möglich zu ihrer Freundin, die ganz schwach atmet und auf nichts reagiert. Sie kniet sich neben sie und fasst ihre Hand.
XENA:
(zu Zoliara)
Sie ist eiskalt. Wir müssen sie wärmen, geh und hol Holz.
(lauter)
Beeil dich schon!
(zu Gabrielle)
Hey. Ich bin bei dir. Keine Angst. Ich bleibe.
Sie nimmt ihren Blick kurz von Gabrielle und lässt ihn über die Umgebung schweifen. Vom Exu-Kult ist keine Spur zu sehen, sie scheinen sich einfach in Luft aufgelöst zu haben. Das einzige, was sie zurückgelassen haben, ist Gabrielle, die an der Schwelle des Todes steht.
Xena hebt den regungslosen Körper zu sich hoch und legt die Arme um sie, um sie wärmen zu können. Mit einer Hand streicht sie ihr langsam eine blonde Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht, aus welchem die ganze Lebenskraft entzogen worden ist.
Sie sieht so zerbrechlich aus und tut Xena unendlich leid.
Zoliara kommt nach einem kurzen Moment zurück und lässt das Feuerholz auf den Boden fallen, welches sie anschließend anzündet.
Die Nacht wird bald zu Ende gehen. Bis dahin weiß Xena, sie wird Gabrielle keine Sekunde aus den Augen lassen. Immer noch wärmt sie sie durch ihren Körper und langsam spürt sie, wie sich ihre Atmung normalisiert, bis sie leise aufkeucht.
GABRIELLE:
(schwach)
Xena?
XENA:
(glücklich)
Gabrielle? Gabrielle, ich bin hier. Ganz ruhig!
GABRIELLE:
Ich... Ich kann nichts sehen...
XENA:
Ist schon gut, es ist nur der Schock.
GABRIELLE:
(panisch)
Nein, du verstehst nicht, ich... sehe nichts mehr... Ich kann nichts mehr sehen,
Xena, was ist los? Xena?! Tu doch etwas!
- Ausblendung; Aufblendung -
WALD
GABRIELLE:
(panisch)
Ich kann nichts mehr sehen,
Xena, was ist los? Xena?! Tu doch etwas!
ZOLIARA:
(flüstert)
Ich hatte befürchtet, dass das passieren würde. Sie haben es tatsächlich getan...
XENA:
Was? Was ist passiert? Was haben die getan?
ZOLIARA:
Sie haben den Kalaharizauber angewandt. Die Magie der Wüste, das Stärkste,
wozu ein Priester imstande ist.
XENA:
Was ist genau mir ihr? Wie kann man es heilen?
ZOLIARA:
Ich sollt dir vielleicht zuerst über diesen Zauber erzählen, Xena. Es ist eine sehr alte
Macht, noch älter, als die Ajogun. Als die Wüste entstand, starb alles Leben der
damaligen Wälder in der Hitze der Sonne über ihr und die Energie, die Seelen der Toten,
staute sich in dem heißen Sand. Diese Energie wurde über die Jahre immer größer
und als die blauen Winde das erst Mal unser Dorf erreichten, brachten sie diese Energien
mit. Nur der Priester des Exu-Kultes hatte die Fähigkeit, aus ihnen einen Zauber zu
formen, den er nur einmal in seinem Leben anwenden kann, ehe er das Geheimnis
seinem Nachfolger überreicht.
XENA:
(gereizt)
Meine Freundin quält sich! Sag mir verdammt noch mal, wie ich es rückgängig
machen kann!
ZOLIARA:
Du kannst gar nichts tun, Xena. Du darfst nichts tun. Denn nur wenn du nichts
tust, wird sie sich wieder erholen.
XENA:
Was bedeutet das?
Zoliara schaut zum Boden und schließt die Augen.
XENA:
Was ist los? Sag mir, was das heißt!
ZOLIARA:
Du verlangst von mir, damit den Tod meines Kindes zu sichern.
XENA:
Wovon redest du?
ZOLIARA:
Xena, denkst du, mir ist nicht klar, dass du nach meiner Antwort einfach gehen wirst?
Dass dir alles andere dann egal ist, außer das Leben und das Glück deiner Freundin?
Du kannst mir nicht erzählen, dass du entgegen ihrer Gesundheit handeln
würdest. Und verdammt, ich kann dir nicht einmal einen Vorwurf machen.
Eine Träne läuft ihre Wange hinunter, dann eine weitere.
Sie holt tief Luft und fährt fort.
ZOLIARA:
Ich erzähle es dir nur, weil ihr mir viel bedeutet. Ich könnte nicht mit der Schuld
ihres Todes leben, der durch meine Lüge verursacht wäre. Sie wird wieder gesund,
wenn die Mission des Exu-Kultes vollendet ist. Wenn die Götter
besänftigt sind und...
XENA:
...Und die Kinder ermordet wurden.
Zoliara nickt.
ZOLIARA:
Bis dahin wird jeden Tag ein neuer Teil des Zaubers aktiv. Blindheit, Bewegungslosigkeit
und schließlich verlässt das Gedächtnis ihren Körper. Unterbricht man die Zeremonie,
so bleibt der Zustand für Ewigkeiten. Du siehst. Ich könnt es dir nicht verübeln, wenn
du jetzt mit ihr gehen würdest. Sie wird nach einigen Tagen gesund sein. Nachdem...
Gabrielle nimmt Xenas Hand und drückt sie an ihre Brust.
GABRIELLE:
Nein!
XENA:
Ganz ruhig Gabrielle, ganz ruhig.
GABRIELLE:
Xena, du musst mir versprechen, dass du den Tod der Kinder verhindern wirst!
Auch wenn es bedeuten sollte... Auch wenn es bedeuten sollte, dass ich für immer
leiden muss. Versprich es mir einfach. Du weißt, dass ich es vom ganzen Herzen will.
XENA:
Ich weiß. Ich weiß, dass du jedes Opfer bringen würdest, wenn es um Menschen geht.
Dass du nicht an dich denkst, könntest du nur einem damit helfen. Du weißt, dass
ich dich dafür liebe. Und dich brauche. Ich werde einen Weg finden, die Kinder
und dich zu retten...
(schaut sie liebevoll an;
zu Zoliara)
Wo genau ist der Ort, an dem sie die Kinder opfern wollen?
ZOLIARA:
Es muss hier ganz in der Nähe sein. Es heißt auf dem Gipfel eines Berges, den
zwei Flüsse schneiden; einem Ort, an dem es so wirkt, als ob die Sonne tiefer steht
als man selbst. An dem das Atmen von den Göttern erschwert wird und an dem
die Kälte in die Haut schneidet.
XENA:
Tymfristos. Es ist nahezu unmöglich, den Gipfel zu erreichen, mit dreizehn Kindern
schon gar nicht.
ZOLIARA:
Normale Menschen würden es physisch und psychisch nicht schaffen, da hast du
Recht, der Exu-Kult verwendet daher die Wirkung einer Pflanze, die die Schmerzgrenze
senkt, Empfindungen betäubt und gleichzeitig die Leistung steigert. Schon ein paar
Blütenblätter dieser Pflanze reichen, um einem schwachen Mann auf den Gipfel
zu helfen.
XENA:
Drogen also.
ZOLIARA:
Nur haben wir nicht diesen Vorteil, es wird unmöglich sein, das zu schaffen...
XENA:
Nein, Drogen sind nie ein Vorteil. Sie machen den Körper stärker, ja. Aber dafür
lassen sie den Verstand außen vor. Wir werden da hoch kommen und dann werden
wir diese Tatsache zu unseren Gunsten nutzen.
GABRIELLE:
(schwach)
Xena...
(hustet)
Xena, ich möchte, dass du mich hier lässt, ich würde euch hindern.
XENA:
(lächelt)
Den Satz bekomme ich selten von dir zu hören. Ich werde dich auf keinen Fall hier lassen.
Du bist angeschlagen und brauchst mich.
GABRIELLE:
Ich bin blind und kann kaum vernünftig atmen. Ich hab nichts auf einem Berg zu
suchen, schon gar nicht, wenn es darum geht, jemandem zu helfen. Ich bin mir nicht
einmal sicher, ob ich überhaupt laufen kann.
XENA:
(streicht ihr sanft über die Wange)
Ich werde dich nicht zurücklassen, wenn es sein muss trage ich dich. Du bist hier nicht
sicher, nicht in deinem Zustand.
ZOLIARA:
Xena, wir werden nur unnötige Zeit verlieren, wenn wir sie mitnehmen.
XENA:
(steht auf und schaut Zoliara mit kalten Augen an; spricht langsam und bissig)
Sie wird mitkommen.
- Schnitt -
FLUSSUFER, AM FUß DES BERGES TYMFRISTOS
PRIESTER:
(zu Pferdeführern)
Haltet an! Hinter dem Fluss kommen wir mit dem Wagen nicht weit! Wir werden
zu Fuß weitergehen müssen! Holt die Kinder!
SOLDAT 1:
(lacht dümmlich)
Jetzt gibt's Gemüse!
Die Kinder werden in eine Reihe gestellt, Kleinkinder wurden auf den Armen der Soldaten gehalten.
PRIESTER:
(geht zu dem ersten und ältesten Kind, Schale mit der Drogenpflanze in der Hand)
Mund auf!
Das Kind schüttelt mit dem Kopf und senkt ihn zur Seite.
PRIESTER:
(holt aus und schlägt ihm ins Gesicht)
Das passiert euch allen, wenn ihr versucht, Widerstand zu leisten! Mit uns ist
nicht zu spaßen! Ich würde noch weiter gehen!
(wieder an das erst Kind gerichtet)
Mund auf!
Der Junge öffnet zögerlich den Mund und schliesst die Augen. Er spürt wie die pürierte Pflanze auf seine Zunge gelegt wird, der Gestank lässt ihn fast würgen. Der Priester greift ihn an dem Unterkiefer und zieht das Gesicht des Kindes zu seinem.
PRIESTER:
Wenn du nicht schluckst, wirst du da oben auf dem Gipfel keine Luft mehr kriegen und
die Kälte wird deine kleinen Zehen abfrieren. Wenn du das willst, dann spuck es aus!
Du hast die freie Wahl! Aber tu es jetzt! Vor meine Füße!
Eine Träne lief dem Kind die Wange herunter und der Priester sieht, wie der Junge die Pflanze hinunterschluckt. Er streicht ihm über das Haar.
PRIESTER:
(lächelnd)
Du bist intelligent genug!
Allen dreizehn Kindern wird die Pflanze nacheinander verabreicht, sowie den Soldaten. Danach setzen sie ihren Weg fort, der Gipfel des Berges ist nicht mehr fern...
- Ausblendung -
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