Einleitung: Spurlos verschwunden
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WALDWEG -- FRÜHER NACHMITTAG
Es ist ein wunderschöner Tag. Sanft fallen die Sonnenstrahlen durch die Baumkronen auf den Boden und bilden dort ein bizarres Muster. Vogelgezwitscher erfüllt die Luft, vermischt mit dem schwachen Rascheln der von dem Wind bewegten Blätter, dem Klopfen eines Spechts auf dem Holz, hellen Kinderstimmen, dem leisen Plätschern eines Baches und dem Hufgetrappel.
Xena bringt Argo zum stehen. Gabrielle macht dasselbe mit ihrem Pferd und schaut ihre Freundin fragend an.
XENA:
Wir könnten bei dem Bach, der hier irgendwo in der Nähe ist, eine kleine Rast machen,
etwas essen und die Wasserschläuche auffüllen...
GABRIELLE:
(überlegend)
Ich würde lieber weiter reiten. Bis zum nächsten Dorf ist es doch nicht mehr weit und dort
können wir nicht nur die Wasserschläuche, sondern auch die anderen Vorräte auffüllen.
(zu Argo)
Was meinst du, Argo? Sollen wir erstmal zum nächsten Dorf?
Argo 2 wiehert und bewegt den Kopf auf und ab, was lustigerweise einem menschlichen Nicken ähnlich sieht.
GABRIELLE:
(lachend zu Xena)
Siehst du? Argo ist meiner Meinung! Zwei gegen eine, du bist überstimmt!
Xena schmunzelt und tätschelt den schlanken Hals der Stute; diese erwidert dies mit einem freudigen Schnauben.
XENA:
Na schön, nach dieser demokratischen Abstimmung ergebe ich mich der Mehrheit.
Reiten wir weiter!
Mit einem leichten Schenkeldruck lässt die Kriegerprinzessin Argo in einen langsamen Galopp verfallen. Einen Augenblick später folgt ihr Gabrielle mit ihrem Pferd.
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WALDRAND -- WENIG SPÄTER
Die beiden Frauen stehen am Waldrand, die Pferde am Halfter haltend.
Sie blicken auf die Ebene, die sich unter ihnen auftut: Ein paar Bauern, die auf den Feldern arbeiten; ein Hirte, der neben einer Schafherde auf einer Flöte spielt, Lämmer, die übermütig um ihre Mütter herum springen, links ein kleiner Bach, der wegen der Entfernung nur als silberner Streifen zu erkennen ist...
Es ist das Bild einer Idylle. Das Dorf liegt weniger als eine Meile entfernt und am Horizont ist der Schemen eines weiteren Dorfes zu erkennen.
Auf einmal ist ein Geräusch aus einem Busch hinter den beiden Kriegerinnen zu hören. Nach einem kurzen Blickwechsel wenden sie sich um, in die Richtung aus der das Rascheln gekommen ist. Jemand bewegt sich durchs Dickicht.
XENA:
Wer ist da?
Sie macht Anstalten, ihr Schwert aus der Scheide zu nehmen, zieht ihre Hand aber sofort zurück als zu ihrer beider Verwunderung ein kleiner Junge - er mag nicht mehr als fünf Sommer zählen - aus dem Dickicht tritt.
Er ist barfuss und trägt ein schlichtes weißes Kleid. Mit seinem niedlichen Stupsnäschen, den leuchtend blauen Augen, dem unschuldigen Kinderblick und den dunkelblonden Locken sieht er so süss aus, dass man geradezu die Lust verspürt, ihn in die Arme zu nehmen.
GABRIELLE:
(lächelnd)
Hey du! Wie heisst du?
Der Knabe antwortet nicht. Neugierig und verwundert starrt er die Fremden an.
XENA:
(freundlich)
Was machst du denn hier alleine im Wald? Wo sind deine Mutter und dein Vater?
Sie macht einen Schritt auf den Jungen zu. Dieser weicht rasch einen Schritt zurück. Ein Moment lang flackert Angst in seinen Augen. Er schaut die beiden unsicher an, dann wendet er sich um und rennt davon, wieder in den Wald hinein.
GABRIELLE:
(neckend)
Du hast ihm Angst gemacht!
In Xenas Augen blitzt es schelmisch auf.
XENA:
Sei doch froh, dass er weggerannt ist, ich hatte mir nämlich gerade überlegt, ob ich ihn
lieber roh oder gebraten wollte.
GABRIELLE:
(lacht)
Xena, die Kinderfressende-Prinzessin, buh!
Sie gibt der Kriegerprinzessin einen freundschaftlichen Stoss in die Seite.
XENA:
(grinst)
He...!
(wieder ernst, nachdenklich)
Ich frage mich, ob wir ihm nicht nachgehen sollen. Es ist zwar heller Tag, aber er ist doch
noch sehr jung, um allein im Wald zu sein.
Ihre Freundin zuckt mit den Schultern.
GABRIELLE:
Seine Eltern wissen wohl schon, wo er ist. Er schien sich ja auszukennen. Komm, gehen
wir ins Dorf!
XENA:
(etwas zögernd)
Na schön.
Gemeinsam gehen sie auf das Dorf zu.
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DORF
Es herrscht eine geschäftige, muntere Stimmung im Dorf. Eine Gruppe lärmender Kinder rennt an Xena und Gabrielle vorbei. Belustigt schauen die beiden ihnen nach.
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DORFPLATZ
Beim Dorfbrunnen füllen sie ihre Wasserschläuche auf. Während die Pferde trinken, schaut sich die Kriegerbardin um.
GABRIELLE:
Hier können wir bestimmt eine Weile blieben und etwas ausspannen.
XENA:
Ja, scheint hier ziemlich nett zu sein.
In diesem Moment kommt eine Frau auf sie zu.
FRAU:
(zögernd)
Xena?
Xena blickt die Frau an.
XENA:
Ja, das ist mein Name...
Der Blick der Frau wandert zu Gabrielle.
FRAU:
(noch zögernder)
Gabrielle?
GABRIELLE:
Kennen wir uns?
FRAU:
(verwirrt)
Aber...das ist doch unmöglich, ihr müsstet... viel älter sein!
GABRIELLE:
Dafür gibt es wahrscheinlich eine Erklärung. Aber wer bist du?
Sie mustert die Frau. Diese unterscheidet sich nicht sonderlich von den anderen Dorfbewohnern. In dem einen Arm trägt sie ein wohl knapp zwei Jahre junges Mädchen, welches den Kopf an ihre Mutter lehnt und die beiden verschlafen anblinzelt, während es an ihrem Daumen nuckelt. Wie ihre Mutter hat sie dunkelblonde Haare. Mit der anderen Hand hält die Frau einen Korb mit Wäsche.
Die Bardin kann sich nicht daran erinnern, sie jemals gesehen zu haben.
FRAU:
Ich... Natürlich, ihr könnt mich nicht mehr erkennen.
Hm... Erinnert ihr euch an Darius?
XENA:
(nachdenklich)
Darius...?
(reißt plötzlich die Augen auf)
...Etwa DER Darius? Verwitwet, Vater von zwei Kinder, dessen Dorf vom Kriegsherr
Cycnus bedroht worden war und der mich gepflegt hatte, als ich durch einen Pfeil
verletzt worden war?
Die Frau nickt heftig.
FRAU:
Genau! Ich...
GABRIELLE:
(unsicher, erfreut)
Sarita?!
SARITA:
(überrascht)
Du erinnerst dich sogar noch an meinen Namen?!
XENA:
(schmunzelnd)
Das kleine Mädchen, das nicht sprach!
SARITA:
(lacht)
Genau! Sagt mal, wollt ihr eine Weile hier bleiben? Ich würde mich freuen euch als Gäste
bei mir begrüssen zu dürfen! Einen Stall für eure Pferde haben wir auch.
XENA:
Gerne!
Sie nimmt Argo am Halfter, Gabrielle ihr Pferd und zusammen folgen sie der Frau.
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SARITAS HAUS -- WENIG SPÄTER
Sie haben die Wäsche gemeinsam aufgehängt und sind dann ins Haus gegangen. Die Pferde haben sie in den Stall neben Saritas Stute gestellt.
SARITA:
...Ihr habt also 25 Jahre geschlafen, im Eis?
Gabrielle lächelt. Der erstaunte, ungläubige Ton, mit dem Sarita das sagt, ähnelt dem ihrer Schwester Lila, als sie ihr dieselbe Angelegenheit erklärt hatten.
SARITA:
(an Xena gewandt)
Und du hast eine Tochter? Ich würde sie gerne mal kennen lernen.
Übrigens, das ist Irini.
Sie weist mit dem Kopf auf die Wiege, wo das kleine Mädchen friedlich ein Schläfchen hält.
XENA:
Sie ist wirklich süss deine Kleine. Meine Tochter ist ... auf einem anderen Weg als ich es bin... Hast du weitere Kinder?
Sarita nickt.
SARITA:
Zwei. Ein neunjähriges Mädchen, Athea, und...
(leise)
...einen fünfjährigen Jungen.
Ihre Miene verfinstert sich und ihre Augen bekommten einen seltsam traurigen Glanz. Xena merkt das zunächst nicht, da sie Darius' Tochter nicht direkt anschaut.
XENA:
Ein fünfjähriger Junge? Wir sind vorher am Waldrand auf einem Jungen in etwa diesem
Alter gestoßen. So ein blonder Lockenkopf mit blauen Augen und einer süssen Stupsnase.
Er schien alleine zu sein und ich frage mich immer noch, was ein fünfjähriger Junge allein
im Wald macht, nicht mal andere Kinder waren zu hören. Na ja...
SARITA:
(leise)
Hatte er auf der rechten Wange ein Muttermal?
XENA:
(nach kurzer Überlegung)
Ja, genau. Kennst du ihn oder ist es gar dein Kind? Ich...
Gabrielle schubst sie leicht und erst jetzt merkt die Kriegerprinzessin, dass Sarita sie entgeistert anschaut.
XENA:
(verdutzt)
Was habe ich gesagt?
Sarita schluckt leer. Verwirrung steht ihr ins Gesicht geschrieben.
SARITA:
(stotternd)
Du... du hast meinen Sohn getroffen.
GABRIELLE:
Ja... und...?
SARITA:
Er ist vor zwei Wochen spurlos verschwunden...!
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