Kapitel 1: Geheimnisse
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BIBLIOTHEK VON ALEXANDRIA, BEN-HAS ARBEITSZIMMER -- ETWAS SPÄTER

BEN-HA:
„...neben den Schreibern, die unter anderem auch für die einfachen Bürger Texte aufsetzen,
gibt es Kopisten, die nichts anderes machen, als Schriftrollen zu vervielfältigen.“


XENA:
„Aha.“

Sie fordert mit einer Geste weitere Informationen.

BEN-HA:
„Sie arbeiten in separaten Räumlichkeiten, die nur ihnen zugänglich sind. Um Kopist zu
werden bedarf es einer besonderen Ausbildung und vielerlei zusätzlicher Fähigkeiten. Im
Grunde können nur Abkömmlinge der höheren Familien überhaupt die Laufbahn eines
Kopisten beschreiten.“


XENA:
„Und wer weist den Kopisten die Aufgaben zu?“

BEN-HA:
„Tur. Mein Stellvertreter.“


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BIBLIOTHEK VON ALEXANDRIA, LESESAAL

Josca sitzt mit einer langen Liste an Gabrielles Tisch und fährt langsam mit dem Zeigefinger, den er immer mal wieder anfeuchtet, die Spalten entlang. Gabrielle beobachtet ihn dabei aufmerksam.

JOSCA:
(flüstert)
„...und Sie sind absolut sicher, dass diese Rolle aus unseren Beständen stammt, Madame?
Ich kann 'ier keine Aufzeichnungen finden.“


GABRIELLE:
(ebenfalls leise)
„Alle Schriftstücke sind hier aus der Bibliothek.“

JOSCA:
„Wirklich? Alle?“

GABRIELLE:
„Wenn ich es doch sage. Vielleicht ist das Inventar veraltet.“

JOSCA:
„Ich bitte Sie!“

GABRIELLE:
„Das könnte doch sein.“

JOSCA:
„Unmöglich! 'ier ist nichts, was nicht sein darf. Dieses Exemplar 'ier ge'ört zweifellos
nicht die Bibliothek von Alexandria. Vielleicht 'aben Sie es 'ineingeschmuggelt.“


GABRIELLE:
(lächelt)

„Ich würde einiges hinausschmuggeln - aber ganz gewiss nichts hinein.“

JOSCA:
„Gut. Dann bleibt uns nur zu eruieren, auf welche Weise die Rollen in ihre 'ände gelangten.“

GABRIELLE:
„Ich lasse sie mir bringen.“

JOSCA:
„Sie 'aben nie selbst in dem Regal gewühlt?“

GABRIELLE:
(entrüstet)
„Niemals.“

JOSCA:
„Nun, ich will Ihnen glauben. Ge'en wir also alle Möglichkeiten durch. Seit wann
arbeiten Sie 'ier?“


GABRIELLE:
„Schon länger. Mehrere Tage.“

JOSCA:
„Genauere Angaben können Sie nicht machen? So wie ein Datum? Stunde?“

GABRIELLE:
„Da wo ich herkomme, nehmen wir es damit nicht so genau.“

JOSCA:
„Nun, wir 'aben ein funktionierendes System, das es uns ermöglicht, die vergangenen
und noch kommenden Tage genau einzuteilen. -Es beruht auf Soptet - Sie kennen ihn
bestimmt als Sothis oder Sirius, unserem 'ellsten Stern. Der Anfang liegt vor unvorstellbar
langen Zeiten. Damals erkannte man die Gesetzmäßigkeiten im Wandel der Jahreszeiten.
Eventuell schon frü'er, aber nehmen wir diesen Punkt als das älteste sichere Datum der
glorreichen ägyptischen Geschichte. Seitdem zählen wir die Jahre, die Monate, die Tage. Und
mit besonderen Instrumenten messen unsere Priester sogar die einzelnen Abschnitte eines
Tages, bis in kleinste Einheiten zerlegt.“


GABRIELLE:

„Ich orientiere mich am Stand der Sonne und komme damit auch sehr gut zurecht. Aber das
klingt interessant, ich möchte mehr darüber erfahren.“


JOSCA:
„Später gerne. Zuerst sollten wir 'erausfinden, wann und wie dieses mysteriöse Exemplar...“
(dreht und wendet die Schriftrolle wie schon zuvor Gabrielle)
„'ier'er gelangt ist. Sie ist nicht katalogisiert, das allein ist schon denkwürdig. Die Sprache
in der sie abgefasst ist, scheint eine Mischung aus mehreren Ländern zu sein. Sie 'atten sie
noch nie zuvor in ihren 'änden? Also, ich meine, vor 'eute?“


GABRIELLE:
„Nein, vorher ist sie mir nicht aufgefallen. Ich weiß auch gar nicht, wann sie zu mir gelangt
ist. Ich mache eine Liste von Themen, zu denen ich Material brauche und bekomme dann
alles gebracht, was darunter einsortiert ist.“


JOSCA:
„Darf ich fragen, was ihr Auftrag ist?“

GABRIELLE:
„Mein Auftrag?“

JOSCA:
„Ja, was führte sie 'ier'er? Für eine Gelehrte scheinen Sie mir doch recht jung.
Und für eine Sängerin - verzei'en Sie meine Offen'eit - nicht so anmutig.“

(betrachtet ihren muskulösen Körper)
„Es fehlt Ihnen die Zart'eit, die ihrem Geschlecht sonst so eigen ist.“

GABRIELLE:
„Nun. Ich bin aus rein persönlichem Interesse hier. Ich habe viele Reisen hinter mir,
quer durch alle Kontinente.“

(Sie fügt eine kunstvolle Pause ein.)
„Ich studiere die verschiedenen Völker und suche nach Gemeinsamkeiten.“

JOSCA:
„Gemeinsamkeiten.“

Josca greift wahllos nach einer der Rollen und zieht sie auseinander - über den Rand hinweg beobachtet er Gabrielles Reaktion. Sie bleibt unbewegt.

Er beginnt zu lesen. Gabrielle fixiert ihn mit wachsamen Augen.

JOSCA:
„Ich komme ursprünglich aus Gallien, frü'er ein freies Land, 'eute nur noch römische
Provinz. Für diejenigen, denen nichts an Unab'ängigkeit liegt ein Segen, denn mit
den Römern kamen viele vorteil'afte Dinge. Annehmlichkeiten und sogar so
etwas wie Kultur.“

(legt die Rolle beiseite)
„Nicht, dass ich ein Freund von ihnen wäre.“
(Gabrielle entspannt sich unmerklich)
„Nun gut.“

(Blick auf die Sanduhr auf seinem Pult)
„Ich werde gleich abgelöst. Danach 'abe ich noch ein paar Geschäfte zu erledigen.
Gibt es eine Liste der Rollen, die Sie verwenden?“


GABRIELLE:
„Das weiß ich nicht. Wenn, dann hat Ben-Ha Aufzeichnungen.“

JOSCA:
„Ben-'a. Ein gütiger Vorgesetzter. Wahrhaftig würdig, die Leitung dieser Bibliothek zu
tragen. Er sei gepriesen.
Dieses Schriftstück kann nur unabsichtlich zu Ihnen gelangt sein. Irgendjemand wird
es - wenn nicht schon jetzt - dann sehr bald vermissen und versuchen, wieder in
seinen Besitz zu gelangen.
Es könnte gefährlich sein, es länger als nötig auf dem Tisch zu 'aben.“

(Gabrielle schaut ihn irritiert an)
„Die Bibliothek von Alexandria ist nicht nur ein Ort des Wissens und der Forschung.
Hier gibt es auch Konkurrenz, Neid, Intrigen und vielerlei mehr, das von Übel ist.“


GABRIELLE:
„Und woher weiß ich, dass Sie keines davon vertreten?“


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BIBLIOTHEK VON ALEXANDRIA, BEN-HAS ARBEITSZIMMER

BEN-HA:
„Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine so gute Idee ist. Es gibt zu viele Unwägbarkeiten.
Wir sollten sie einweihen.“


XENA:
„Auf keinen Fall.“

BEN-HA:
„Du arbeitest noch immer hinter ihrem Rücken. Sie ist schon lange kein Kind mehr.“

XENA:
„Das weiß ich. Aber, was ich auch weiß ist, dass sie gerne ihre eigenen Wege geht. Und
solange wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben, ist ihr bester Schutz, dass sie
nichts weiß. Sowieso ist sie fleißig in ihre Studien vertieft.“


BEN-HA:
„Ich bin nicht besonders glücklich mit deiner Vorgehensweise.“

XENA:
„Einem offenen Angriff kann sie jederzeit standhalten. Und solange sie sich in
der Bibliothek aufhält, wird es niemand wagen sie zu attackieren, ohne sich dabei
selbst zu offenbaren.“


BEN-HA:


„Sie steht bestimmt schon unter Beobachtung. Schließlich gebe ich mir alle Mühe
Aufmerksamkeit zu erregen. Früher oder später werden sie einen falschen Schritt
machen und sich verraten.“


XENA:
„Tur wirkt nervös. Noch hat er aber nichts gemacht, was ihn direkt verraten hätte.
...Allerdings habe ich das Gefühl, dass da noch mehr dahinter steckt.“


BEN-HA:
„Mehr?“

XENA:
„Auf jeden Fall verbirgt er etwas. Du verdächtigst ihn zu Recht. Aber möglicherweise
ist die Intrige größer als wir anfangs vermuteten.“

Ben-Ha schaut sie fragend an, doch die Kriegerprinzessin winkt ab.

XENA:
„Wie auch immer. Spiele deine Rolle als angeblicher Mitwissender weiter. Mal schauen
ob unserem Freund irgendwas auffällt.“



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BIBLIOTHEK VON ALEXANDRIA, LESESAAL

GABRIELLE:
„Ich wüsste zu gerne, was es mit meinem Fund auf sich hat.“



JOSCA:
„Dazu müsste man ihn übersetzen. Bedauerlicherweise verfüge ich nicht über die
entsprechenden Kenntnisse.“

(überlegt)
„Ich denke nicht, dass es klug wäre, einen der 'iesigen Angestellten damit zu betrauen.“

GABRIELLE:
„Nicht?“

JOSCA:
„Besser nicht.“

In diesem Moment betritt Yemaha, der 2. Schreiber den Lesesaal und sieht, dass Josca bei Gabrielle sitzt. Sofort eilt er auf die beiden zu und herrscht ihn mit gedämpfter Stimme an. Josca sucht daraufhin eilig ein paar Schriftrollen, die am Tischrand liegen, zusammen und steht auf. Gabrielle schaut ihn verwundert an, protestiert aber nicht.

Nach ein paar Schritten stolpert er und lässt alles fallen. Mit hochrotem Kopf sammelt er die Rollen wieder ein und legt sie auf seinem Pult ab. Tur folgt ihm.

JOSCA:
„Es tut mir Leid ehrwürdiger Kollege. Sie 'at mich gebeten, einige Rollen zurückzulegen
und andere 'erbeizubringen. Ich konnte ihr doch nicht widersprechen. Ben-'a sagte...“


YEMAHA:
„Schon gut, schon gut. Du kannst jetzt Feierabend machen. Ich übernehme für dich.“

JOSCA:
„Meine Dankbarkeit gehört dir. Oh - aber bevor ich ge'e, werde ich sie noch wegräumen...“

YEMAHA:

„Das ist nicht nötig, ich werde sicher etwas Zeit finden, sie wieder an ihren angestammten
Ort zu bringen.“


JOSCA:
„Ich stehe tief in deiner Schuld. Wann immer...“

YEMAHA:
„Ich werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen.“


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IN DEN STRAßEN VON ALEXANDRIA -- SPÄTER

Eine hochgewachsene Gestalt in einem bodenlangen Kittel, die Kopfbedeckung tief ins Gesicht gezogen, schlendert von einem Marktstand zum anderen. Ab und zu bleibt die Gestalt stehen, prüft die Ware und lässt sich den Preis nennen.

JOSCA:
„Es wird Probleme geben.“

GESTALT:
„Aha.“
(zum Verkäufer)
„Wieviel?“

VERKÄUFER:
„Drei ägyptische Dinar, 8 römische Sesterzen, 5 griechische ...“



GESTALT:
„2 Dinar.“

VERKÄUFER:
„Drei.“

JOSCA:
„Yemaha wird ab 'eute ein besonderes Auge auf mich 'aben. Er 'at mich bei Gabrielle
sitzen sehen. Ich konnte mich gerade so herausreden.“


GESTALT:
(zuckt unmerklich zusammen)
„Das ist schlecht.“

Sie lässt den Verkäufer, der sich auf einen regen Handel eingestellt hatte, kommentarlos stehen und rempelt dabei Josca an.

GESTALT:
(laut)
„Was stehst du mir auch im Weg.“
(flüsternd)
„Gehen wir Tee trinken.“


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IN EINER TEESTUBE

Gopala sitzt allein in einer Ecke, ein dampfendes Getränk vor sich.

Tur lugt durch den Vorhangspalt. Als er Gopala entdeckt, zuckt er zurück und wartet draußen. Als Gopala kurze Zeit später herauskommt, gesellt er sich neben ihn.

TUR:
„Ich weiß etwas, was du nicht weißt.“

GOPALA:

„Lass den Quatsch, ich habe keine Zeit für solche Spielchen“

TUR:
„Ich könnte dir - für eine Gegenleistung - ein Geheimnis verraten.“

GOPALA:
„Ich bin nicht interessiert.“

TUR:
„Du ganz sicher nicht...“
(spöttisch)
„Herr Polizeipräfekt -
aber dein Herr und Gebieter.“


GOPALA:
„Der ist auch nicht interessiert.“
(wendet sich ab)



TUR:
„Eine Amazone.“

Gopala bleibt abrupt stehen.


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