Kapitel 2: Hoher Besuch
- Aufblendung -


IN EINER TEESTUBE

GOPALA:
„Du lügst.“

TUR:
„Nein.“

GOPALA:
(legt den Kopf zur Seite)
„Wieviel?“

TUR:
„Sehr viel.“

GOPALA:

„Zuviel.“

TUR:
(zuckt mit den Schultern)
„Wenn du nicht willst.“
(täuscht einen Abgang vor)

GOPALA:
(greift nach seinem Ärmel)
„Warte. Die Amazonen sind nahezu ausgerottet.
Hier ist seit Jahren keine mehr gesichtet worden.“


TUR:
„Ich habe eine.“

GOPALA:
„Ich will sie sehen.“

TUR:
„Das ließe sich arrangieren“
(reibt demonstrativ den Daumen gegen den Zeigefinger)

GOPALA:
„Gute Ware?“

TUR:
„Erstklassig.“

GOPALA:

„Eine wahrhafte, echte Amazone?“

TUR:
„So echt wie sie nur sein kann.“


- Schnitt -

IM TEESALON

Josca zaubert aus den Tiefen seiner Kleidung eine Schriftrolle hervor und legt sie auf das kleine Tischchen, auf dem zwei dampfende Becher stehen. Die Tische rechts und links sind unbesetzt, im Hintergrund lungert eine Runde älterer Männer auf einer gepolsterten Bank, die abwechselnd an einer Wasserpfeife ziehen.

Die Gestalt beugt sich etwas nach vorne. Dabei rutscht die Kapuze leicht zurück und Xenas blaue Augen werden im Halbdunkeln erkennbar.

GESTALT (XENA):
„Was ist das?“

JOSCA:
„Eine codierte Schriftrolle -“
(rollt das Schriftstück wie beiläufig zwischen den Fingern)
„Ich 'abe sie von Gabrielle gestohlen.“

XENA:
(hebt die Augenbrauen)
„Warum?“

JOSCA:
„Schau sie dir an.“

Xena nimmt die Rolle auf und studiert den Inhalt.

XENA:
„Das sieht aus, wie...“

JOSCA:
„Genau. In falschen 'änden könnte es unermesslichen Schaden ausrichten.
Wenn wir das Richtige vermuten.“


XENA:
„Das macht mir Sorgen. Wenn kein Zufall dahinter steckt, dann wird es gefährlich -
gefährlicher als ich dachte...“


JOSCA:
„Noch etwas: Diese Rolle war nicht in der Bestandliste der Bibliothek aufgeführt.“

XENA:
„Und das bedeutet...?“

JOSCA:
„Das weiß ich nicht.“

Xena krault ihre Kinnspitze.

JOSCA:
„Tur war die meiste Zeit in der Kopierstube. Oder zumindest ich 'abe ihn nicht im
Lesesaal gesehen. Nichts spezielles, also. Allerdings... Yemaha ist argwöhnisch. Unerwartet argwöhnisch...“


XENA:
„Tur? Der zweite Schreiber?“
(Josca nickt)
„Interessant...“
(kurze Pause)
„Wie lange wird es dauern, sie zu entschlüsseln?“
(reicht die Rolle zurück)

JOSCA:
„Mindestens einen Tag.“

XENA:
„Das ist zu lange. Mach erst eine Kopie und schaffe sie noch heute zurück.“

JOSCA:
„Aber Yemaha 'at die Abendschicht und wird es bestimmt merkwürdig finden, wenn ich
vor morgen früh noch einmal dort aufkreuze.“


XENA:
„Dann sorge dafür, dass er dich nicht sieht.“

Sie erhebt sich.


- Schnitt -

BIBLIOTHEK -- AM NÄCHSTEN TAG, SPÄTER NACHMITTAG

Yemaha stürmt über einen langen Korridor des Bibliothekgebäudes und läuft dabei Ben-Ha direkt in die Arme.

YEMAHA:
„Unglaublich. Einfach unglaublich.“

BEN-HA:

„Was ist passiert?“

YEMAHA:
„Des Pharaos engster Vertrauter, Potiphar, hat Sendboten ausgeschickt.
Man sucht eine Amazone.“


BEN-HA:
„Eine Amazone?“
(lacht schallend)
„Was will Potiphar denn mit einer Amazone?“

YEMAHA:
„Keine Ahnung. Hier.“
(hält ihm ein Papyrus vor die Nase)
„Soeben per Sonderkurier eingetroffen.“

BEN-HA:
(überfliegt das Dokument)
„...besondere Kennzeichen... rechte Brust fehlt... Vorsicht, extrem gefährlich... Hohe Belohnung...“
(reicht das Dokument zurück)
„Doch, ja, jetzt wo du es sagst... Entsprechende Gerüchte kursieren bereits seit einigen Tagen.“

YEMAHA:
„Wie hoch wird sie wohl sein?“

BEN-HA:
„Unter diesen Umständen? Ein Platz in der Vorkammer unseres geliebten Pharaos.“

YEMAHA:
(Aufgewühlt, mit leicht zitternder Stimme)
„In der Vorkammer?“

BEN-HA:
„Ja, direkt am Eingang zum Hauptgrab.“

YEMAHA:
„Tot oder lebendig?“

BEN-HA:
„Die Amazone?“

YEMAHA:
„Nein, die Einmauerung.“

BEN-HA:
„Das hängt vom Hohepriester ab. Der Tod ist günstig zu haben. Lebendig - das kostet
ein Vermögen. Leute wie wir können sich so etwas Exklusives nicht leisten.“



- Schnitt -

BIBLIOTHEK, LESESAAL

TUR:

„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was willst du hier?“

GOPALA:
„Mich umsehen.“
(Er lässt seinen Blick durch den Saal schweifen - und bleibt bei Gabrielle hängen.)
„Eine Weibsperson!“
(entfährt es ihm)

TUR:
„Pst. Nicht so laut.“

GOPALA:

„Wer ist sie?“

TUR:
„Niemand.“

GOPALA:
„Und was macht sie dann hier?“

TUR:
„Nichts.“

GOPALA:
„Ah, ich verstehe. Es ist sie, nicht wahr? Du sagtest, ich könne sie sehen.“
(Geht zielstrebig auf Gabrielle zu - Tur eilt ihm nach)

TUR:
(leise)
„Aber doch nicht hier, in aller Öffentlichkeit...“
(etwas lauter und eindringlich)
„Bitte, mein Herr, dies ist ein Studiersaal. Sie können nicht so einfach...“

GOPALA:

„Und ob ich kann.“
(mit donnernder Stimme)
„Ich bin der Polizeipräfekt von Alexandria und dies ist eine offizielle Durchsuchung.“

Tur presst sich kreidebleich und erschüttert gegen die Wand. Entsetzt hält er sich die Hand vor den Mund. Alle Studenten heben überrascht den Kopf und verharren in dieser Position.

GOPALA:
(zu Gabrielle)
„Aufsteh'n!!“

Gabrielle erhebt sich zögerlich von ihrem Sitzplatz und wirft einen fragenden Blick zu Tur. In diesem Moment erscheint Ben-Ha. Sofort erfasst er die Situation und steuert mit ausgestreckten Händen auf Gopala zu.

BEN-HA:

„Gopala, liebster und bester Freund! Wie schön, dass Ihr die Zeit findet unserem Haus
endlich einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Hätte ich gewusst, dass Ihr kommt,
stünde ein Imbiss bereit.“

Er drückt den überraschten Präfekten an sich und presst ihm zuerst rechts, dann links einen Kuss auf die Wange.

BEN-HA:
„Tur, herbei mit dem Wein.“
(zu Gopala)
„Aber setzt Euch doch.“
(lächelt abwechselnd ihn und Gabrielle an)
„Gabrielle, dies ist Gopala, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.“
(zwinkert ihr zu, dass sie mitspielen soll)

GABRIELLE:
(haucht)
„Gopala.“
(deutet einen Knicks an; zu Ben-Ha)

Wie konntest du mir verschweigen, wie stattlich...“
(mustert seinen gestreckten Körper)
„...und gutaussehend er ist.“
(lächelt in Gopalas schiefes Gesicht)
„Kein Wunder, dass du immer nach Ausflüchten gesucht hast, wenn ich dich gedrängt
habe, mir dieses Bild von Mann endlich vorzustellen. Ich hatte schon befürchtet,“

(wendet sich an den Präfekten)
„dass ich abreisen muss, ohne Sie kennenlernen zu dürfen.“

Tur stellt ein Tablett mit Wein und Knabbereien auf den Tisch und scheucht die Studenten hinaus, bleibt aber im Hintergrund stehen.

GABRIELLE:
„Meine Forschungen haben mich bis Alexandria getragen. Aber wenn ich geahnt hätte...“
(sie lässt den Rest offen)
„...wäre ich schon viel früher in diese Stadt gekommen.“

GOPALA:
(räuspert sich)
„Ich hoffe Ihnen gefällt unser kleiner Ort.“

Er starrt ihr auf die Brust und greift hastig nach dem Wein. Ein kräftiger Schluck und er fühlt sich Gabrielle gewachsen.

BEN-HA:
„Gabrielle ist eine weitgereiste Schriftgelehrte und vervollkommnet bei uns ihre Studien.
Sie ist mit allen Großen des Orients und des Okzidents bekannt. Die griechische
Dichterin Sappho hat ihr eigens ein Gedicht gewidmet.“


GABRIELLE:
„Nun ja, eigentlich bin ich nichts weiter, als eine einfache Bardin.“

BEN-HA:
„Sie ist zu bescheiden. Mit Homer und Euripides besuchte sie die Athener Akademie.“

GOPALA:
„Tatsächlich?
'O Menschen, die ihr vieles lernt und übt umsonst,
was lehrt ihr tausendfache Kunst und Fertigkeit, warum ersinnt, erfindet ihr so mancherlei...'“


GABRIELLE:
„ '...und eins versteht ihr, eines habt ihr nie erjagt:
sittsam zu machen, wem der rechte Sinn gebricht.'“

Gopala starrt und schluckt. Dann ein wenig peinlich berührt:

GOPALA:
„Ich war schon immer ein großer Freund der Lyrik.“

GABRIELLE:
„Ein Mann in Eurer Position.“
(klimpert mit den Wimpern)
„Und dann so ein sensitiver Geist. Ich bin beglückt, dass Ihr es Euch nicht nehmen ließet,
mir persönlich Eure Aufwartung zu machen.
Der Saal bebt noch jetzt, ob Eurer maskulinen Präsenz.“


GOPALA:
(zahm)
„Ich hoffe, ich habe Euch vorhin nicht erschreckt.“

GABRIELLE:

„Aber nein. Ihr seid eine willkommene Unterbrechung. Den ganzen Tag nur mit den
Schriftrollen zu verbringen, entspricht nicht so ganz meinen Vorstellungen von Glück.“


GOPALA:
„Darf ich mich nach Euren Studien erkundigen?“

GABRIELLE:
„Ich...“

Ihr Blick fällt auf Ben-Ha, der warnend seinen Zeigefinger an die Lippen hält.

Gabrielle schaut kaum merklich verwundert drein und wühlt dann ziellos zwischen den Schriften.

GABRIELLE:
„Nun, ich befasse mich im weitesten Sinne mit unterschiedlichen Kulturen...“


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