Kapitel 1: Geh nicht in die Höhle
- Aufblendung-

LAGER DER FAHRENDEN

Die Dämmerung hat endgültig eingesetzt und lässt die Szenerie noch unwirklicher erscheinen als sie es ist. Gabrielle läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Der Anblick der Versteinerten ist unheimlich und gibt die ganze Grausamkeit wieder, die diese Unglücklichen mit ihrem letzen Atemzug verspürt haben mussten.

XENA:
(leise)
„Hörst du das Gabrielle?“

GABRIELLE:
„Nein ich höre nichts. Was meinst du denn?“

XENA:
„Das genau meine ich ja. Es ist nichts zu hören. Kein Laut, nicht einmal ein
Nachtvogel oder ein Windhauch.“


GABRIELLE:
„Ja. Jetzt weiß ich, was du meinst. Es ist zu still.“

Sie lauschen gebannt in die Dunkelheit hinein. Plötzlich vernehmen sie hinter sich ein Geräusch. Als sie sich umdrehen, sehen sie dass sich ein Strauch bewegt.

GABRIELLE:
(flüsternd)
„Vielleicht ist es ein Tier?“

XENA:
„Vielleicht. Geh du nach rechts, ich werde mich von der anderen Seite heranschleichen.“

Vorsichtig, lautlos nähern sie sich dem Gebüsch.

Mit einem Satz springt Xena in das Dickicht.


GABRIELLE:
(erschrocken)
„Xena?“

Gabrielle zieht ihre Sais aus den Stiefeln und macht sich bereit zum Kampf.


XENA:
„Schon gut, Gabrielle. Sieh mal, wen ich gefunden habe.“

Die Kriegerprinzessin kommt hinter dem Busch hervor und an ihrem Arm zappelt ein kleiner Junge. Er schlägt wild um sich, doch es hilft ihm nichts.

Erleichtert lässt Gabrielle ihre Waffen sinken und atmet tief durch.

GABRIELLE:
„So lass ihn doch herunter. Siehst du nicht, wie ängstlich er ist?“

Xena hält das Kind noch immer fest, lässt es aber sanft auf den Boden. Der Junge hört auf sich zu wehren. Es hat den Anschein, als hätten ihn seine Kräfte vollends verlassen. Er lässt die Arme und Schultern hängen. Sein Blick scheint durch Gabrielle hindurch zu gehen, als ob er sie nicht wahrnehmen würde.

Sie kniet sich zu ihm herunter und streicht ihm über das Haar. Der Junge zuckt zusammen, als er hätte er Gabrielles Hand nicht kommen sehen.


GABRIELLE:
(sanft)
„Hab keine Angst. Wir wollen dir helfen. Wie heißt du denn?“

XENA:
„Vielleicht ist er stumm.“

Xena hat den Griff gelockert und nimmt ihn bei der Hand. Langsam gehen sie zum Lagerfeuer. Sie sieht dem Jungen ins Gesicht.

XENA:
„Gabrielle, komm her. Sieh mal. Seine Augen. Ich glaube... er ist blind.“

GABRIELLE:
„Armer kleiner Kerl. Was machen wir denn nun mit ihm?“

Die Bardin nimmt Xena beiseite und sie entfernen sich ein paar Schritte. Der Junge soll nicht hören, was sie zu sagen hat.

GABRIELLE:
(leise)
„Ob das seine Familie war, da am Feuer?“

XENA:
(leise)
„Sieht ganz so aus. Und dass er blind ist, wird ihm wohl das Leben gerettet haben,
wenn unsere Vermutung richtig ist und das alles Medusas Werk ist.
Hör zu, du gehst jetzt mit ihm zurück in die Stadt und ich bleibe hier und sehe mich
noch ein wenig um.“


GABRIELLE:
(verunsichert)
„Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist. Ich kann dich doch hier nicht allein lassen.
Du wirst doch wirklich hier auf mich warten, oder?“


XENA:
(lächelnd)
„Aber sicherlich. Glaubst du ich würde ernsthaft etwas Unüberlegtes tun?“

GABRIELLE:
„Oh ja das glaube ich, deshalb mache ich mir ja Sorgen.“

XENA:
„Hey, ich werde hier warten, bis du zurück bist. Du kennst mich doch!“

GABRIELLE:
„Ja ich kenne dich. Ebendarum. Du und deine Alleingänge.“

Sie sieht die Kriegerprinzessin mit zusammengekniffenen Augen an. Dann hebt sie einen Finger, als würde sie ihr drohen wollen.

Während die Beiden miteinander sprechen, können sie nicht sehen, wie sich auf dem Gesicht des Jungen eine Verwandlung vollzieht. Ein dämonisches, kaltes Grinsen huscht über sein zuvor mitleiderregendes Antlitz. Er sieht in die Flammen des Lagerfeuers und seine Pupillen werden schlitzförmig, wie die einer Schlange.

Gabrielle geht zum Lagerfeuer zurück und nimmt das Kind bei der Hand. Als er sich umdreht, ist jedoch nichts mehr zu sehen von der gerade noch vollzogenen Verwandlung.

GABRIELLE:
(freundlich)
„Komm mit, ich bringe dich an einen sicheren Ort. Hier kannst du nicht bleiben.“

Der Kleine steht auf und geht ohne zu zögern mit. Gabrielle sieht noch einmal zu Xena hinüber und hebt abermals den Finger.

GABRIELLE:
(drohend)
„Du wartest.“

Xena hebt zum Abschied eine Hand und sieht den Beiden nach. Als sie aus ihrem Blickwinkel verschwinden, durchsucht sie die nähere Umgebung nach Hinweisen. Sie hält sich jedoch immer in der Nähe, des lodernden Lagerfeuers. Die Minuten vergehen und sie erscheinen Xena wie Stunden. Noch immer vernimmt sie keinen Laut außer dem Knistern des Feuers.

Mit einem Male jedoch erkennt sie ein Licht, das von einer kleinen Lichtung aus geht. Vor wenigen Augenblicken ist es noch nicht da gewesen. Xena entfernt sich einige Schritte vom Feuer. Immer wieder blickt sie sich um.

XENA:
(zu sich selber)
„Gabrielle wird sicher verstehen, wenn ich mal eben nach dem Rechten schaue.“

Sie klingt jedoch nicht sehr überzeugt von sich selbst.


- Schnitt-

IM WALD

Weiter und immer weiter entfernt sich das Lagerfeuer aus ihrem Blick. Sie zieht ihr Schwert und ihre Augen wandern aufmerksam immer wieder von einer zur andern Seite. Als sie sich dem Punkt nähert, von wo das Licht kommt, erkennt sie den Eingang einer Höhle. Eine Fackel brennt dort. Xena nimmt sie aus der Halterung und leuchtet in das Innere der Höhle.


XENA:
(zu sich selbst)
„Gabrielle wird sicher verstehen, wenn ich mal einen Blick in die Höhle hineinwerfe.
Nur einen Blick.“

Xena lässt die Fackel am Eingang zurück und schließt die Augen.
Ihre Hände umklammern den Griff des Schwertes und sich nur auf ihr Gehör verlassend geht sie sich Schritt für Schritt weiter in die Höhle hinein.


- Schnitt-

IN DER HÖHLE

Nach einigen Metern stößt sie gegen einen Felsen. Mit einer Hand berührt sie den Stein. Sie ertastet die glatten Umrisse eines menschlichen Gesichtes.

Plötzlich vernimmt sie schallendes Gelächter, direkt hinter sich. Blitzschnell dreht sie sich um, die Augen noch immer geschlossen.

XENA:
(rufend)
„Wer bist du? Gib dich zu erkennen.“

WEIBLICHE STIMME
(krächzend)
„Ist das nicht offensichtlich wer ich bin?“

XENA:
„Vielleicht zu offensichtlich. Du bist nicht Medusa.
Medusa wurde vor langer Zeit von Perseus getötet.“

Für einen Moment ist es still. Xena lauscht.

MÄNNLICHE STIMME
(ironisch)
„Du bist ja so schlau. Erkennst du jetzt wer ich bin?“

Die Kriegerprinzessin kennt die Stimme.

XENA:
(in Gedanken)
„Das kann doch nicht sein!“

Ein mulmiges Gefühl steigt in ihr empor. Sie öffnet die Augen einen Spalt und sieht ihren Verdacht bestätigt.


XENA:
„Luzifer!!!!!“

- Ausblendung; Einblendung-

IN DER HÖHLE

Luzifer fühlt sich überlegen. Er versucht seine bösartige Ausstrahlung, seine ganze Überheblichkeit, gegen Xena einzusetzen.

Die letzte Begegnung zwischen ihnen hat aus Luzifer den Fürsten der Finsternis gemacht. Die Schmach, von einer Sterblichen hereingelegt und besiegt zu werden, hat seinen Hass weiter geschürt.

LUZIFER:
(fluchend)
„Ich war ein Erzengel. Sieh was du aus mir gemacht hast!“

Xena überspielt ihre Furcht. Sie darf ihm ihre Ängste nicht zeigen. Sie wagt ein gefährliches Spiel.

XENA:
„Luzi... Luzi... Was sind schon Äußerlichkeiten... Was ich nicht verstehe... warum die Maskerade?
Medusa. Ist das nicht etwas unter deiner Würde?“


LUZIFER:
„Es hat seinen Zweck erfüllt. Du bist doch hier. Aber vielleicht wäre dir jemand Anderes
lieber gewesen. Wie zum Beispiel...“

Vor ihren Augen verwandelt er sich in einen alten Bekannten.

LUZIFER/CÄSAR:
„Wir hätten gemeinsam die Welt beherrschen können Xena. Du und ich, das perfekte Paar.
Übrigens deine kleine Freundin... wie heißt sie noch? Gabrielle?“


XENA:
(erschrocken)
„Was ist mit ihr? Was hast du mit ihr gemacht?“

LUZIFER/CÄSAR:
(selbstsicher)
„Nichts habe ich mit mir gemacht. Mein treuer kleiner Beelzebub hat sich ihrer angenommen.
Er ist ja so ein listiger kleiner Teufel.“

Er stolziert in der Gestalt des römischen Kaisers um die Kriegerprinzessin herum, wie ein Fuchs auf der Jagd nach seiner Beute. Sie steht wie angewurzelt da, versucht ihn nicht anzusehen. Sie spürt seinen Atem in ihrem Nacken.
Blanke Wut steigt in ihr hoch, krampfhaft umschließt sie den Griff ihres Schwertes. Noch immer steht er hinter ihr.

LUZIFER/CÄSAR:
„Ich spüre deinen Hass. Verlierst du deine Fassung?
Vielleicht ist es noch nicht die richtige Wahl.“


XENA:
„Warum tust du das? Was bezweckst du damit?“

Die Stimme einer Frau flüstert in ihr Ohr. Xena schliesst die Augen. Ihr Herz schlägt wie wild, sie fühlt wie das Blut in ihren Adern pulsiert.

XENA:
(leise)
„Alti!“

LUZIFER/ALTI:
(grinsend)
„Ja Alti... Weckt das Erinnerungen? Du zitterst ja Xena...
Ist das deine Angst oder dein Hass der dich erzittern lässt?“


Die Kriegerprinzessin dreht sich um und blickt direkt in Luzifers teuflische Fratze.

LUZIFER:
„Hat dir die kleine Vorstellung gefallen? Du hast geglaubt, indem du die Olympischen
Götter auslöscht, würden die Menschen frei und unabhängig in ihren Entscheidungen sein.
Mit mir hast du etwas geschaffen, das alles andere in den Schatten stellt. Die Menschen
werden erzittern vor meiner Macht und auch dein Eli wird ihnen nicht helfen können.“

Sein stinkender Atem ekelt sie an.

XENA:
(wütend)
„Ich werde dich dahin schicken woher du kamst...“

Er lacht schallend auf. Sein Lachen dröhnt in Xenas Kopf. Sie schreit laut auf und ihre ganze Kraft und Wut entlädt sich, als sie mit dem Schwert versucht auf ihn einzuschlagen.
Doch der Schlag geht ins Leere. Erneut führt sie das Schwert. Wie von Sinnen schlägt sie um sich, bis sie erschöpft auf die Knie sinkt.

LUZIFER:
„Gibt mir deinen Hass...“

XENA:
„Du Bestie... Elis Lehre hat schon viele Menschen erreicht.“

LUZIFER:
(grinsend)
„Elis Lehre wird unbedeutend werden. Eines Tages wird ein Anderer die Bühne
der Geschichte betreten. Ein ebenbürtiger Gegner...
Doch bis dahin, werde ich die Seelen der Menschen vergiftet haben und sie werden ihn
nicht erkennen und sich von ihm abwenden... Noch in Jahrtausenden wird meine Macht
nicht gebrochen sein. Ich werde die Menschen mit Hunger und Pest heimsuchen und ihnen
in den verschiedensten Gestalten das Leben wahrlich zur Hölle machen.“


XENA:
„Nicht wenn ich es verhindern kann.“

LUZIFER:
(selbstsicher)
„Das ist ja das Schöne... du kannst es nicht verhindern. Du hast dich ja nicht einmal
selbst unter Kontrolle. Und das, nach all dem was in Japa geschehen ist.
Wenn ich wüßte was Mitleid ist, dann würde ich dich jetzt bedauern.
Entschuldige mich jetzt bitte, ich habe zu tun. Das Böse schläft nie.“

Wieder erhalt sein schallendes Gelächter und lässt die Wände der Höhle erbeben.

Und so wie er erschienen war, so verschwindet er aus Xenas Augen.
Die Kriegerprinzessin sucht nach Fassung. Sie ist innerlich aufgewühlt, erschrocken und fühlt sich ohnmächtig. Der Hass, der sie ihr Leben lang begleitet hat und den sie glaubte hinter sich gelassen zu haben, er ist wieder da. Sie hat ihn gespürt und in ihrem tiefsten Innern spürt sie ihn noch immer.


- Schnitt-

AUF DEM WEG NACH DEMETRIAS

Gabrielle hat ein ungutes Gefühl. Sie kann es nicht definieren, doch es ist da. Sie hat Xena gegen ihre Überzeugung allein gelassen. Den ganzen Weg zurück in die Stadt, macht sie sich Gedanken. Ihre Schritte werden immer schneller. Der Junge hat während des ganzen Weges kein Wort gesprochen.

Es ist bereits Nacht als sie den Stadtrand erreichen.

JUNGE:
„Halt. Bleib stehen...“

GABRIELLE:
(überrascht)
„Das glaube ich nicht. Die ganze Zeit sprichst du kein Wort, warum jetzt?
Wie ist eigentlich dein Name?“


JUNGE:
(leise)
„Beelzebub!“

GABRIELLE:
„Seltsamer Name. Manche Kinder sind echt gestraft.“

Sie will weiter gehen doch das Kind hält inne.

BEELZEBUB:
„Du musst nicht weiter gehen. Mein Meister, er ist bereits dort.
Ich möchte nicht, dass dir etwas geschieht.
Ich denke, ich werde Ärger bekommen.“


GABRIELLE:
(skeptisch)

„Ich verstehe nicht... dein Meister?“

BEELZEBUB:
„Ja, mein Meister. Er hat mich gesandt um dich fortzulocken.
Aber... du warst gut zu mir... Noch niemals ist jemand gut zu mir gewesen.“


GABRIELLE:
(aufgebracht)
„Wer zum Teufel ist dein Meister?!“

BEELZEBUB:
„Ja... genau das ist mein Meister... mein Herr... mein Fürst
Ich bin sein Werkzeug... Und ich werde furchtbaren Ärger bekommen.“


GABRIELLE:
(entsetzt)
„LUZIFER???“

BEELZEBUB:
„Ich muss gehen... Er wird ja so schrecklich böse sein mit mir sein.
Er kann so wütend werden... Oh je.“

Kaum hat der Junge die Worte ausgesprochen ist er verschwunden. Gabrielle dreht sich um und ruft nach ihm. Doch keine Spur ist von ihm geblieben.

GABRIELLE:
(voller Angst)
„Bei allen Göttern. Xena!!!“

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