Kapitel 2: Nanami
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IN DER HÖHLE

Stille... Dunkelheit... Ein tiefes Nichts... Und doch meint Gabrielle weit, weit entfernt eine Stimme zu hören, die zu ihr spricht. Sie erwacht. Langsam aber stetig. Ihr ganzer Körper schmerzt. Sie versucht die Augen zu öffnen. Was würde sie jedoch erwarten? Hades? Engel oder gar noch Schlimmeres? Oder würde sie aus einem Alptraum erwachen? Es muss ein Alptraum gewesen sein. Der Fall, dieser tiefe Fall, die Frau, deren Name sie Trauer und gleichzeitig Wärme und Freude verspüren lässt.
Nur sehr langsam kommt ihr Bewusstsein zurück.

Sie öffnet zaghaft die Augen und erkennt in Umrissen und verschwommen die Gesichtszüge einer Frau, die über sie gebeugt mit ihr zu sprechen scheint.

GABRIELLE:
(wispernd)



„Mein Gesicht? Was ist mit meinem Gesicht? War es ein Traum?
Bist du ein Geist?
Xena?“

Gabrielle starrt die fremdartig aussehende Frau fragend an.

NANAMI:
(ängstlich)
„Psst. Es kommt alles in Ordnung. Stell bitte keine Fragen, wir müssen schnell weg.“

Sie greift Gabrielle unter die Arme und versucht, sie vorsichtig vom Altar zu bekommen.
Natürlich ist diese sehr geschwächt und mitgenommen, so dass man damit rechnen kann, dass sie sich nicht auf den Beinen halten kann. Also bringt Nanami all ihre letzten Kraftreserven auf und stützt Gabrielle so gut sie kann ab, um mit ihr in Richtung Höhlenausgang zu gehen.

Gabrielle weiß nicht wie ihr geschieht; sie ahnt jedoch, dass man ihr helfen will. Also versucht sie, gegen die Schwäche und die Schmerzen anzukämpfen, was ihr auch einigermaßen gelingt.


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AUßERHALB DER HÖHLE

So schleifen sich beide ins Freie.

Die Morgendämmerung bricht mittlerweile auch schon an, so dass Eile geboten ist.
Nanami setzt Gabrielle in den Sand, an einen Felsen angelehnt, und spurtet zu den Pferden, die vor der Höhle angebunden sind. So schnell sie kann sattelt sie die Tiere. Sie führt beide Pferde zu Gabrielle und versucht, ihr in den Sattel zu helfen. Mit Nanamis Hilfe gelingt es der Bardin - mit schmerzverzogenem Gesicht - aufzusteigen. In gebückter Haltung versucht sie, sich im Sattel zu halten, was auch mehr schlecht als recht gelingt. Mit Mühe schafft sie es, ihre brennenden Füße in die breiten Steigbügel zu bekommen.
Nanami steigt auf das zweite Pferd auf und nimmt Gabrielles Zügel, um das Pferd zu führen, da die Bardin sich offensichtlich nur gerade so auf dem Pferd halten kann und sich benommen krampfhaft am Sattel festhält.

NANAMI:
(besorgt)
„Kannst du dich halten? Geht es?“

Gabrielle nickt.

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AM STRAND

Die Sonne taucht am Meereshorizont langsam auf und Nanami wird bewusst, dass nun alles schnell gehen muss, wenn sie den Hauch einer Chance haben wollen zu entkommen.

NANAMI:
(Gabrielle anschauend)
„Halt dich fest. Tut mir leid, aber es muss sein.“

GABRIELLE:
(leise)
„Es wird schon gehen.“

Nanami gibt ihrem Pferd die Sporen und reitet - mit Gabrielle im Schlepptau - im Galopp den Strand entlang.

Nach einiger Zeit entdeckt sie einen steilen Weg, der die Klippen hinaufführt, wo sie hoffentlich entkommen können.

Der Weg ist zwar gefährlich und steinig, doch der einzige Ausweg, da die Beiden am Strand leichte Beute für die Piraten wären.
Schnell kommt Nanami eine Idee. Sie steigt von ihrem Pferd, bricht einige Äste von den Büschen ab, die an den Klippen wachsen, nimmt dann Gabrielles Pferd und reitet mit ihr zurück ans Wasser, wo sie hergekommen waren.
Ihrer vorigen Spur folgend, führt sie beide Pferde ins Wasser, so dass es aussieht, als wären sie im seichten Wasser weitergeritten. Dann führt sie die Pferde wieder zu dem schmalen steilen Weg, der nach oben führt. Bevor sie jedoch den Anstieg in Angriff nehmen, steigt Nanami nochmals ab und verwischt die Spuren, die vom Wasser weg zum Hang führen.

Als dies getan ist, machen die Beiden sich an den Aufstieg.
Um die Gefahr zu minimieren, auf dem losen und steilen Weg mit den Pferden abzurutschen, gehen sie nur sehr langsam bergauf. Immer wieder schaut Nanami zurück zu Gabrielle, um zu sehen, wie es ihr geht.

Weiter und immer weiter folgen sie dem Pfad. Mit viel Glück entkommen sie zwei Steinschlägen und Gerölllawinen. Doch nach Stunden haben sie es geschafft.
Die Sonne ist mittlerweile aufgegangen und es scheint ein heißer Tag zu werden.

Kaum oben am Rande der Klippen angekommen, bleibt Nanami das Herz aber beinahe stehen, denn sie hört wütendes Geschrei und die Hufe von Pferden.

NANAMI:
(erschrocken)
„Sie kommen!“

Schnell führt sie die Pferde an den Rand des Waldes, der oben beginnt.

NANAMI:
(ruhig)
„Keine Sorge, ich bin gleich wieder da. Halte dich gut fest!“

GABRIELLE:
(wispernd)
„Ich werde mir Mühe geben.“

Nanami verschwindet wieder in Richtung Abhang.


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AM ABHANG

Unten sieht sie die Horde der Piraten am Strand entlang reiten. Furcht überkommt sie und sie hofft, sie würden diesen Weg nicht entdecken. Sie legt sich flach auf den Boden und beobachtet das Geschehen.
Zuerst scheint es, als würde der Plan funktionieren, denn sie sieht wie diese Kerle ratlos am Wasser stehen, wo die Spuren hineinführen. Schon will sie aufatmen, als sie erkennt wie einer in die Richtung ihres Weges zeigt und sein Pferd in Bewegung setzt.
Die Anderen folgen ihm und blicken nach oben. Der Anführer deutet in Richtung der Klippen.

Schnell zieht Nanami den Kopf ein, um nicht gesehen zu werden. Nach kurzer Zeit wagt sie erneut einen kurzen Blick nach unten. Die Piraten stehen immer noch am Fuße der Klippen.


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UNTEN BEI DEN KLIPPEN

ANFÜHRER:
(grimmig nach oben zeigend)
„Du glaubst also, sie sind den Lawinenpfad hinaufgeritten?“

PIRAT:
(eingeschüchtert)
„Warum nicht, Chef? Wäre doch möglich, oder?“

ANFÜHRER:
(noch grimmiger)
„Idiot, viel zu gefährlich. So blöd bist nicht mal du.“


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AM ABHANG

Nanami beobachtet das Geschehen und sieht wie der Anführer den Kopf schüttelt. Dann gibt er dem Mann, der gemeint hat diesen Weg entdeckt zu haben, eine Kopfnuss. Er wendet sich wieder von ihm ab, so als wolle er ihm zu verstehen geben, wie idiotisch diese Mutmaßung sei.
Nun muss Nanami doch kurz schmunzeln, denn so Unrecht hat der Anführer nicht: Es ist absolut idiotisch.

Schließlich steigen alle Piraten wieder auf und reiten in die Richtung, in der sie den Fluchtweg der beiden Frauen vermuten, weiter.

NANAMI:
(belustigt)
„Oh, es tut mir leid, meine Lieben, dass wir euch um euer Vergnügen gebracht haben.“

Dann geht sie beruhigt zu Gabrielle und den Pferden zurück.


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AM WALDRAND
Als sie dort ankommt, bemerkt sie erschrocken, dass Gabrielle nicht auf ihrem Pferd sitzt. Schnell geht sie hin und findet die Bardin neben dem Pferd im weichen Moos liegend vor.

Sie hebt sie vorsichtig auf und setzt sie erst einmal an einen Baumstumpf. Dann holt sie etwas Wasser aus der Satteltasche und befeuchtet Gabrielles ausgetrocknete Lippen.

Gabrielle spürt dankbar das kühle Nass auf ihren Lippen und schaut Nanami von unten bis oben fragend und noch etwas verwirrt an. Diese setzt sich vor Gabrielle auf den Boden und erkennt ihren fragenden Blick.

GABRIELLE:
(fragend)
„Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Wie bin ich da hineingeraten?
Und mein Schädel brummt fürchterlich.“


NANAMI:
(sanft aber bestimmt)
„Das ist eine lange Geschichte, die ich dir gerne einmal erzähle, sobald wir in Sicherheit
sind. Aber wir brauchen eine kurze Rast. Ich hoffe zehn Minuten reichen aus.“


GABRIELLE:
(verkrampftes Lächeln)
„Ja du hast recht. Mein Name ist Gabrielle... und wie heißt meine Retterin?“



NANAMI:
(lächelnd)
„Ich bin Nanami und wurde ebenfalls von diesem Gesindel entführt...“

Sofort überkommen sie tausende von Fragen, die sie Gabrielle am liebsten sofort gestellt hätte. Die Zeit drängt jedoch.
Sie reicht Gabrielle die Hand zur Begrüßung und schaut ihr tief in die Augen. Gabrielle muss verdammt viel erlebt und durchgemacht haben, so erscheint es ihr. Und sie spürt, dass Gabrielle die Schlüsselrolle in kommenden wichtigen Ereignissen sein wird. Die Flucht vor den Piraten war zwar ein Wagnis gewesen, aber sie hätte es dennoch bereits früher wagen können. Und doch hatte sie gewusst, dass es noch nicht Zeit war. So wie alles einen Grund hatte, so war auch sie nicht grundlos in die Hand der Piraten gefallen. Sie hätte Gabrielle unter anderen Umständen begegnen wollen. Doch auf diese Weise ist ihr die Suche nach ihr erspart geblieben. Eine Suche die trotz ihrer Kräfte schwierig gewesen wäre, da ihr die Zusammenhänge noch nicht klar sind. Falls Gabrielle tatsächlich die Person ist, die sie sucht...

NANAMI:
„Lass uns erst einmal weiter weg von hier sein. Wir müssen für heute Nacht auch einen geeigneten Lagerplatz finden. Kannst du noch reiten?“

GABRIELLE:
(leise)
„Ja, es geht schon... irgendwie.“

Beide steigen auf die Pferde. Hoffentlich finden sie rechtzeitig einen Lagerplatz, denn Gabrielle muss wieder zu Kräften kommen und ihre Wunden etwas verheilen.
Also reiten sie weiter…

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LICHTUNG

Nach Stunden des Reitens durch den kühlen Wald erreichen Gabrielle und Nanami eine Lichtung, die geeignet dafür scheint, hier die Nacht zu verbringen.
Die Beiden haben sich während ihres Rittes nicht sonderlich viel erzählen können, da sie zu konzentriert darauf gewesen sind, nicht irgendwelchen Fremden zu begegnen.

Gabrielle muss erst wieder zu Kräften kommen. Die ganze Zeit über sitzt sie wie angewurzelt und fast regungslos im Sattel. In ihrem Inneren jedoch schlagen die Gefühle wie wild auf sie ein und sind nur schwer wieder in Einklang zu bringen.
Langsam wird ihr bewusst, was alles in kürzester Zeit passiert ist und ihr Leben nachhaltig verändert hat.
Eigentlich will sie nicht weiter über das Geschehen nachdenken, aber sie kann sich nicht dagegen wehren.


Immer wieder spielen sich Szenen vor ihrem inneren Auge ab. Sie sieht Xena und den letzten Tag, den sie zusammen in Japa verbracht haben. Obwohl alles schon vor Wochen geschehen ist, hat sie das Gefühl es wäre erst gestern gewesen, als sie allein das Schiff zurück nach Griechenland bestiegen hat.

NANAMI:
(reicht Gabrielle die Hand, um ihr vom Pferd zu helfen)
„Du musst absteigen Gabrielle...“

GABRIELLE:
(aus ihren Gedanken gerissen)
„Danke, aber ich glaube, ich schaffe es allein abzusteigen.“

Sie lässt sich langsam aus dem Sattel auf den Boden gleiten und betrachtet die Lichtung.

GABRIELLE:
„Oh, das sieht ganz hübsch aus...“

Beide fangen an, die Pferde abzusatteln und die Decken, die hinter den Sätteln angebracht sind, auszubreiten. Nun merkt Gabrielle, dass sie doch noch sehr geschwächt ist und sie setzt sich auf einen Baumstumpf.

Währenddessen bereitet Nanami, soweit ihr das möglich ist, ein Lager. Immer wieder schaut sie zu Gabrielle und sie wird sich immer sicherer, dass mit dieser Frau etwas Schwerwiegendes in der Zukunft passieren wird, was das Leben von ihnen allen verändern könnte. Aber Nanami lässt sich nichts anmerken und macht weiter.
Als Gabrielle sich den Geräuschen des Waldes und der Natur hingibt, wo sie erhofft ihre innere Ruhe wieder zu finden, bemerkt sie ein leises, entferntes Plätschern, das ein Bach sein könnte.

Sie steht auf und geht in diese Richtung, denn sie will sich etwas frisch machen. Die Strapazen der letzten Stunden und Tage sind einfach zu viel gewesen.


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AM BACH

GABRIELLE:
(leise zu sich selber)
„Ahhh, das wird mir gut tun…“

Sie tritt ans Ufer. Dann sieht sie ihr Spiegelbild im Wasser und erschrickt.

GABRIELLE:
(zunächst erschrocken)
„Bei den Göttern, wie sehe ich denn aus?“

Dann lächelt sie ihr Spiegelbild hämisch an.

GABRIELLE:
„Na alte Frau, du siehst ja schrecklich mitgenommen aus.“

Die Müdigkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben und auch der ganze Staub und Dreck tragen nicht gerade dazu bei, ihre Weiblichkeit zu unterstreichen. Also taucht sie die Hände in das Wasser und fängt an sich zu erfrischen und das Gesicht zu waschen. Danach nimmt sie einen großen Schluck des Wassers und befeuchtet ihre mittlerweile ausgetrocknete Kehle. Die Lebensgeister kehren allmählich wieder zurück und auch ihr klares Denken.

Dann geht sie zurück zum Lagerplatz.

Oft haben Xena und sie diese Zeit der Reinigung gemeinsam genossen. Gabrielle hat das Gefühl, sie wäre bei ihr. Sie lächelt bei dem Gedanken.
Ein Lächeln. Im gleichen Moment fühlt sie sich fast schuldig. Aber das ist doch Unsinn, Xena hätte es nicht gewollt, dass sie sich wegen eines Lächelns schuldig fühlt.
Die Erinnerungen an die schönen Momente werden stärker und sie lässt ihnen freien Lauf...


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LAGERPLATZ

Als sie sich Nanami nähert, versucht sie sich nichts anmerken zu lassen.

NANAMI:
(fragend)
„Gabrielle? Was ist denn los? Stimmt was nicht? Du siehst aus als wären dir Waldgeister über den Weg gelaufen.“

GABRIELLE:
(lächelt verlegen)
„Och nein, eigentlich ist alles in Ordnung. Ich habe mich nur an etwas erinnert.“

NANAMI:
„Es ist wohl nicht ratsam, wenn wir heute ein Feuer machen. Ich habe uns bereits einige Waldfrüchte und Beeren gesammelt. Zusammen mit den Resten des Brotes müsste es wohl für heute reichen.“

Dabei schaut sie Gabrielle mit schräg gestelltem Kopf und einem etwas ironischem Unterton an.

GABRIELLE:
„Danke Nanami, das reicht völlig, denn allzu großen Hunger habe ich eigentlich nicht.“

Aber als wollte ihr Magen sie für ihre Lüge bestrafen, fängt in ihrem Bauch etwas an, wild protestierend und laut zu knurren.

NANAMI:
(Gabrielle anlächelnd)
„So so... Lass es dir schmecken.“

Es klingt fast schon bemitleidend. Sie reicht Gabrielle ein Blatt, das als Teller dienen soll, mit den Beeren und Stücken des Brotes und legt es ihr in den Schoß.
Nun muss auch Gabrielle lächeln, als sie erkennt, dass sie wohl sehr leicht zu durchschauen ist. Sie nimmt die Beeren und isst. Das tut gut und schmeckt sogar vorzüglich.


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